Logo Cinema! Italia! Header

35 Städte, 40 Kinos

 

Der Dialog der Gegensätze

Erst gegen Ende des Films erfährt man, dass die beiden Protagonisten, der Chef der Gefängniswärter (Toni Servillo) und der Camorra-Boss (Silvio Orlando), als Kinder in der gleichen Straße aufgewachsen sind, der eine als Sohn des Gastwirts, der andere als Sohn des Milchmanns. Sie kennen sich gut, haben dieselbe Luft geatmet, sind dann aber aufgrund der Wechselfälle des Lebens unterschiedliche Wege gegangen, um sich schließlich, misstrauisch und feindselig, auf den entgegengesetzten Seiten der Barrikade wiederzufinden: der eine in der Zelle, der andere als Wache in Uniform. Es fällt ihnen schwer, eine gemeinsame Basis zu finden und eine Form des Dialogs wiederherzustellen, aber es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Eine einfache, fast didaktische Metapher für das, was in dieser gefährlichen und melancholischen Zeit geschieht, in der die Alarmsignale des Kalten Krieges zurückkehren und in der benachbarte Völker, die einst Brüder waren, wieder aufeinander schießen. Mit den Tönen der zivilen (Ariaferma) oder kulturellen Fabel (Welcome Venice), des Gesellschaftsmärchens (Der Legionär) oder des Bildungsromans (Calcinculo), aber auch mit den paradoxen Szenen der Komödie (Come un gatto in tangenziale 2), thematisieren alle Filme von Cinema Italia! 2022, quasi im stillschweigenden Einverständnis, das Thema des Bruchs und der Trennung, aber gleichzeitig auch der Notwendigkeit des Schrittes nach vorne, der Geste, mit der die Gründe für Verständnis und Solidarität bekräftigt werden.

In Leonardo Di Costanzos Ariaferma (italienischer Kritikerpreis für den besten Film des Jahres) geht es ständig um Abgrenzung und Feindseligkeit. Wir befinden uns in einem alten Gefängnis, das kurz vor seiner endgültigen Schließung steht, und wo wegen eines bürokratischen Hindernisses die Zeit stillzustehen scheint, was die Spannungen zwischen Insassen und Wärtern noch verstärkt. Dennoch genügen eine kleine freundliche Geste (der meistgefürchtete Häftling bietet an, für alle zu kochen) und ein Bruch der Vorschriften (alle dürfen am selben Tisch essen), um positive Gefühle und die Gemeinsamkeiten der menschlichen Existenz wiederzuentdecken.
Daniel und Patrick, die Protagonisten von Hleb Papous Il legionario, sind Brüder afrikanischer Abstammung und Italiener der zweiten Generation. Doch auch sie sind gespalten, das Schicksal hat sie in entgegengesetzte Richtungen geführt: Der eine ist Polizist und gehört zu dem Einsatzkommando, das ein seit Monaten besetztes Gebäude räumen soll, der andere lebt mit seiner Mutter in eben diesem Gebäude und ist der Anführer der Besetzer. Auf der einen Seite die Familie, auf der anderen die Uniform, die Anerkennung und Legitimation bedeutet. Mit den stilistischen Merkmalen des Actionfilms, die die Kontraste betonen und die Wendungen vervielfachen, behandelt Il legionario aufrichtig die Komplexität eines gesellschaftlichen Phänomens, das zu einem Notfall geworden ist.
Auch die junge Protagonistin von Chiara Bellosis Calcinculo lebt in einer Welt, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Sie ist übergewichtig und bulimisch und fühlt sich in ihrem Körper und ihrer Schüchternheit gefangen, bis vor ihrem Haus ein Jahrmarkt seine Zelte aufschlägt und eine Gestalt (Amanda) auftaucht, die es geschafft hat, sich dem Leben zu öffnen, indem sie schwierige und unumkehrbare Entscheidungen getroffen hat. Eine Coming-of-Age-Geschichte mit den Konturen eines düsteren Märchens, die sich mit dem Thema Identität und Selbstakzeptanz auseinandersetzt, ohne einfache Lösungen anzubieten. Venedig ist mit seiner Schönheit und Geschichte die italienische Stadt, die mehr als jede andere täglich den Konflikt zwischen der Bewahrung einer unschätzbar wertvollen Vergangenheit und den Herausforderungen der sich abzeichnenden Zukunft erlebt. Ein historisches und kulturelles Thema, das Welcome Venice von Andrea Segre in einen Konflikt zwischen zwei Brüdern einbettet, von denen der eine ein ständig vom Bankrott bedrohter Fischer ist, und der andere auf der ständigen Suche nach einer möglichen wirtschaftlichen Erlösung durch abenteuerliche Immobiliengeschäfte.
Auch in Riccardo Milanis Come un gatto in tangenziale - Ritorno a Coccia di morto stehen zwei gegensätzliche Welten, die sich gegenüberstehen, sich bekämpfen und am Ende zu einem möglichen, ja sogar angenehmen und sogar zweckmäßigen Zusammenleben finden. Nach dem Erfolg des vorangegangenen Films kehrt Milani zu seinen zänkischen, verliebten Protagonisten zurück (er ein Vertreter des so genannten "Kaviar-Linken", sie eine großzügige und etwas "vulgäre" Römerin der Peripherie), um ihre Beziehung zu vertiefen und, wenn auch mit dem Spott komischer Charakterisierungen, wichtige Themen und Situationen anzusprechen: auf der einen Seite eine soziale Wut, die immer kurz vor der Explosion steht, auf der anderen Seite die Stärke derer, denen es gelingt, Unterschiede und Vorurteile zu überwinden.
Cinema! Italia! schließt mit einer Hommage an eine große italienische 2022 verstorbene Schauspielerin, Monica Vitti, an einen Meister des Kinos, Michelangelo Antonioni, und an einen Film wie Deserto rosso, der nach mehr als fünfzig Jahren immer noch zeitgemäß ist und mit der Sprache der Kunst die ökologische Zerstörung und die Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen anprangert.

Viel Vergnügen!

Piero Spila